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MEHR ALS EIN BISSCHEN WISCHEN

Bilder: Privat/ K. Steinert

Der Tod riecht süßlich. Er riecht immer gleich – zumindest für Florian Stier. Er kennt diesen Geruch. Der 28-Jährige aus Ravensburg ist Tatortreiniger beim Reinigungservice Stier und Service. Er wirkt etwas abgehetzt. „Ich komme gerade erst von einem Einsatz. Ein versuchter Suizid“, sagt er ohne eine Miene zu verziehen. Das ist eben sein Job. Seine Arbeit fängt dann an, wenn andere sich vor Entsetzen übergeben. Wie hält man das aus? „Man gewöhnt sich daran“, meint er und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Schlimmer ist für mich der Geruch von Katzenurin.“ Überall wo Florian Stier mit seinem Stahlkoffer voller Putzmittel, Schwämmen, Tüchern und Spachteln auftaucht, ist etwas Schreckliches geschehen. Überall dort muss er die Spuren des Todes beseitigen. 125 Euro pro Stunde kostet das den Auftraggeber. Wohin ihn seine Aufträge führen, ist eigentlich egal. Wichtig ist auch nicht die Frage, warum ein Mensch sterben musste. Das hat mit Stiers Job nichts zu tun. Er muss putzen. 

Ein Traumjob? Für Stier schon. Aber nicht, weil er gerne in die Abgründe des Lebens blickt. Vielmehr, weil er damit Verstorbenen die letzte Ehre erweisen kann – auf seine Weise. „Für Angehörige ist es sehr schwer, die letzten Überresten von ihren Verwandten zu entfernen“, erklärt Stier. Das könne er gut verstehen. Oft stehen sie noch unter Schock, sind mitten im Trauerprozess oder der Ekel ist einfach zu groß. „In solchen Situationen werde ich dann von den Angehörigen, Wohnungseigentümern oder Bestattern beauftragt. Niemals von der Polizei“, sagt er.

Bekannt wurde sein Beruf ausgerechnet durch die NDR-Comedy-Serie „Der  Tatortreiniger“. Kann man seine Arbeit mit der von Schauspieler Bjarne Mädel,  alias Heiko Schotte (kurz Schotty) vergleichen? Ja, die sei sehr real, findet der  Ravensburger. Wenn Florian Stier kommt, ist das Papiersiegel der Polizei  bereits durchbrochen, die Leiche abtransportiert, die Spurensicherung   abgeschlossen. „Der Fundort ist von der Polizei schon freigegeben“, erklärt er.
Das Wort Tatort benutzt er eigentlich nie. Sobald die Wohnungstür hinter Stier ins Schloss fällt, zieht er sich um: weißer Schutzanzug, Schuhüberzieher, Handschuhe und Atemmaske. Nicht unbedingt die bequemste Arbeitskleidung.
Denn darunter kann es richtig warm werden. Schwitzen ist für ihn Alltag. Bevor er mit dem Schrubben beginnt, kommt erstmal ein Extrahiergerät zum Einsatz. Es versprüht einen Mix aus Wasser und Desinfektionsmittel. „Nur zur Sicherheit. Ich weiß ja nie, ob es in der Luft ansteckende Keime gibt“, erklärt Florian Stier. Erst danach beginnt die Arbeit. Mit speziellen Putzmitteln, gewöhnlichen Schwämmen und Spachteln entfernt er Blut, Leichensäfte, menschliche Überreste, Larven und Müll. Auch Möbel, die man nicht mehr säubern kann, entfernt er fachgerecht. „Es ist unglaublich, wo Blut überall hinkommen kann. Selbst in die kleinste Ritze. So ist Blut eben“, sagt der Ravensburger lakonisch. Ein fröhlicher Job scheint das nicht zu sein. Von kuriosen Begegnungen mit Angehörigen oder Nachbarn kann Stier nichts erzählen. „So lustig wie in der Serie ist es nicht“, sagt Stier. Im Fernsehen gerät Schotty immer wieder in absurde Situationen mit Mördern, reichen Witwen, Prostituierten,  Fernsehsternchen der Hitler-Verehrern. Es sind aberwitzige Dialoge – urkomisch und tragisch zugleich. „Eine Prise Humor braucht man auch als echter  Tatortreiniger“, so der 28-Jährige, „Sonst geht das nicht.“ Ob er sich Schotty als Arbeitskollegen vorstellen könne? „Aber klar. Ich würde ihn ohne zu zögern einstellen“, sagt er enthusiastisch. „Er ist ein lustiger Typ.“ Allerdings könne er sich nicht vorstellen, neben einer Blutlache ein Wurstbrot auszupacken. „Das macht man nicht. Das ist respektlos“, sagt der Ravensburger. Immerhin befinde man sich in einer privaten Wohnung eines Verstorbenen – im Allerheiligsten sozusagen. Etwas Anstand müsse man sich da schon bewahren. Am Fundort, also der Wohnung, schaut er sich doch manchmal um. Zwangsläufig mache man sich da ein Bild von dem Menschen, der dort einmal gelebt hatte. Wie zum Beispiel bei einem Leichenfund eines Mannes, der bereits sechs Monate unbemerkt tot in seinem Zuhause lag. Dort prangte ein Schriftzug an der Wand „no risk no fun“. Darunter ein Müllberg. „Eine typische Messi-Wohnung eben. In solche Wohnungen werde ich oft gerufen“, berichtet Stier. Bei der Hälfte aller Einsätze, in denen Tote Tage später in ihren Wohnungen gefunden wurden, handelt es sich um Messi-Wohnungen. „Ich vermute, dass diese Menschen schon länger ihr Leben nicht mehr im Griff hatten, einsam waren und niemand sie vermisst hat. Das macht mich dann schon traurig“, erzählt der 28-Jährige. Zu viel Spielraum lasse er solchen Gedanken aber nicht. „Mir ist es lieber, wenn mein Kopf beim Putzen leer ist – und eigentlich gelingt mir das auch meistens“, erzählt er.

Selbst bei seinem ersten Einsatz als Tatortreiniger vor drei Jahren konnte er gut abschalten. „Das war ein versuchter Suizid“, sagt er emotionslos. Ein Mann hatte sich im Bett die Pulsadern aufgeschnitten. Das Blut war überall. „Ich habe für solche Einsätze während meiner Ausbildung beim Hygiene Institut Schubert in Murnau trainiert. Sobald ich einen Fundort betrete, läuft bei mir ein bestimmtes Programm ab“, erklärt der Tatortreiniger. Tür zu, Schutzkleidung an, desinfizieren, putzen, Möbel entsorgen, mit Ozon letzte Gerüche beseitigen, fertig. Pro Jahr muss er bis zu 20-mal ausrücken. In diesem Jahr musste er  bereits 15-mal Blut, Leichensaft und Körperüberreste aufwischen und  einsammeln. „Das ist schon richtig viel. Und immerhin ist die heiße Zeit des  Jahres noch nicht vorbei“, sagt er. Was Stier damit meint, ist die Adventszeit bis Weihnachten. „Meiner Erfahrung nach nehmen sich in dieser Zeit mehr Menschen das Leben oder versuchen es zumindest“, erzählt er. In seiner Stimme schwingt eine Traurigkeit mit. Er verdient zwar an den Toten, trotzdem stecken dahinter teilweise traurige und tragische Schicksale. Ein melancholischer Mensch ist Florian Stier nicht: „Ich bin durch und durch ein Optimist. Das muss man in dem Beruf auch sein.“